Zählte ich alles zusammen, hätte ich die Zeit und die Möglichkeiten und würde ich auch immer wissen, wann, wo, was gesendet oder ausgestrahlt wird, oder gedruckt zu lesen wäre, dann könnte ich vielleicht so eine Geschichte erzählen:

Eine kleine Verlagsgeschichte

1.

Ich bin in den letzten zwanzig Jahren für jedes verkaufte Buch einen Kilometer gefahren und konnte täglich 20 Minuten im Radio über unsere Autorinnen und Autoren, über unsere Bücher und die Literatur des europäischen Ostens hören. Zusätzlich war es mir vergönnt, die Arbeiten des Verlages täglich zwei Minuten im Fernsehen zu betrachten. Zumindest in drei verschiedenen (europäischen) Medien hat sich die Leserschaft über die Literatur im entlegenen europäischen Osten informieren können. Dafür haben wir vom Verlag eine Million Bücher gedruckt, drei Viertel davon konnten wir bis heute verkaufen und weitere 100.000 Exemplare zur Rezension verschicken.

Dafür mussten wir aber auch täglich mindestens gut 100 Exemplare unserer Bücher verkaufen und danach trachten, genügend an Subventionen und Druckkostenzuschüssen zu erwirtschaften, damit wir die acht Millionen Euro – oder in echtem Geld, die 110.000.000 (einhundertzehn Millionen Schilling) – an Geldmitteln zur Verfügung hatten, die wir brauchten, um unser Programm herzustellen, Veranstaltungen zu organisieren, Rechnung zu bezahlen (hie und da leider auch etwas verzögert, weil es halt nicht immer klappte). Weil das nicht so einfach ging und weil die Liquidität auch was kostet, mussten wir in diesen zwanzig Jahren täglich auch für Zinsen und Kreditkosten 75 Euro (oder eintausend Schilling) aufbringen. (No, ein wenig weniger Zinsen zu zahlen tät’ uns nicht schlecht.)

 

 

Viele der von uns verlegten Autorinnen und Autoren, Übersetzerinnen und Übersetzer sind über unseren Verlag erstmals im deutschsprachigen Raum bekannt gemacht worden. Sie fanden in renommierten Zeitungen und Zeitschriften Möglichkeiten, ihre Texte zu publizieren, Interviews zu geben, wurden vom Spiegel, der FAZ und der NZZ abwärts besprochen und die Tür in den Westen öffnete sich ihnen. Es erschloss sich ihnen ein neuer Kreis von Leserinnen und Lesern und sie wurden von diesen zunehmend geschätzt. Sie gingen von da an erfolgreich ihren Weg. Viele sind heute anerkannte und gern gelesene Autorinnen und Autoren.

Wir konnten auch den Medien helfen, insbesondere in den ersten Jahren, wo es noch kaum Rezensenten und Kritikerinnen gab, die sich in der Literatur des europäischen Ostens auskannten, und dieser Bereich noch gerne als Orchideenfach bezeichnet wurde. Wir durften bei der Zeit und dem Spiegel, dem Standard und der Presse vermitteln, wir konnten Verbindungen herstellen, weil sie auf der Suche nach Kritikerinnen und Kritikern waren und wir potenzielle kannten, no-names sozusagen, damit diese wissensreich über den blinden Fleck Europas zu berichten beginnen konnten. Wir waren (sind) das Bindeglied zwischen Autorenschaft, Medien und Verlag und konnten der Literatur des europäischen Ostens die gebührende Öffentlichkeit verschaffen.

Nicht zuletzt haben wir den zum Exil gezwungenen Autorinnen und Autoren in der Zeit des aufkommenden Krieges in Jugoslawien geholfen, sich im Exil zurechtzufinden, Stipendien und Wohnungen zu erhalten und zu bezahlen, um weiterschreiben zu können, bei Lesungen ihre Literatur vorzutragen und über ihr Leben zu berichten. Nicht wenige von ihnen sind heute angesehen, gern gesehen und mit namhaften Preisen ausgezeichnet und haben sich im hiesigen Literaturbetrieb zurechtgefunden. Von unserer Arbeit konnten uns auch Briefbomben und Attrappen, Morddrohungen und Prozesse nicht abhalten.

Buchreihen

2.

 

Seit 23 Jahren existiert der Verlag. In diesen 23 Jahren haben wir knapp 900 Bücher verlegt. Einige davon haben wir aus diesem Grund in ein neues Gewand gesteckt. Aus jedem Jahr des Bestehens des Verlages haben wir zumindest eines ausgewählt und legen es der wohlwollenden Leserschaft ans Herz. Wir haben sie im Preis vereinheitlicht, doch die Inhalte sind wie eh und je kontroversiell, spiegeln die verschiedenen Stilrichtungen und Herangehensweisen wider und vermitteln uns Bilder und Tonalitäten aus unterschiedlichsten geographischen und kulturellen Räumen. Wir sind stolz auf jedes einzelne Buch und sind froh, diese Bücher gefunden und verlegt zu haben. Bücher haben nicht nur eine Saison. Viele reifen mit den Jahren.

Von Anfang an haben wir uns alle Mühe gegeben, die Bücher schön zu gestalten und haben auf die Auswahl der Materialen große Sorgfalt gelegt. Wir haben die Bücher sorgsam ediert und Inhalt und Form formvollendet zusammengebracht. Im Literarischen, beim literarischen Schmuggel, zogen wir gemeinsam durch die Lande, seit Jahren. Auch im ersten Jahrzehnt des eigenen Verlages zogen wir, der Wortlandstreicher Ludwig Hartinger und ich, der Verleger, gemeinsam aus. Unterwegs trafen wir den noch etwas leute- und mikrofonscheuen, doch liebenswürdigen Kerl (wenn einer Tiroler Gröstl zubereiten kann, dann er!), den Kritiker und Essayisten Karl-Markus Gauß. Als Kumpanen machten wir uns auf den Weg, der Ignoranz den Kampf anzusagen. Waren die ersten beiden slowenischen Bücher des neu gegründeten Verlages Critce mimogrede und Prošnji dan von Florjan Lipuš, die wir in Ljubljana am 16. 11. 1987 der staunenden Öffentlichkeit präsentierten, so war das erste Buch im deutschsprachigen Programm die Sammlung von Porträts Tinte ist bitter aus der Feder von Karl-Markus Gauss. Mit diesen drei Büchern haben wir die gesamte Breite des Programms skizziert. Von unseren Träumen, jeden Monat am selben Tag ein bestimmtes Buch in allen europäischen Sprachen zu präsentieren, also von einer europäischen Austauschbibliothek, sind wir auch heute noch weit entfernt, aber einiges hat sich in der Zwischenzeit ja doch bewegt. Ein wenig der einstigen Träume hat sich verwirklichen lassen. Immer wieder ergänzen wir uns. Auch noch heute, jeder an seinem Platz – vielleicht dadurch noch wirksamer. Einer, der am Anfang auch prägend wirkte, war der eigenwillige, exzellente slowenische Grafiker Matjaž Vipotnik. Mit ihm konnten wir das Manko, kein Werbekapital zu haben, durch schön gestaltete Bücher wettmachen. So haben wir jene Grundlagen gelegt, auf denen wir auch die schwersten Zeiten des Verlages übertauchen konnten.

3.

Der Wieser Verlag ist ein Projekt von Vielen für Viele. Hartinger, Gauß und Vipotnik stehen hier stellvertretend für alle, denen Ehre und mein Dank gebührt. Was wir gemeinsam begonnen haben, ist der erste systematische Versuch, dem europäischen Osten in seiner sprachlichen und kulturellen Vielfalt im europäischen Westen – auf gleicher Augenhöhe – eine Öffentlichkeit und Gehör zu verschaffen. Es ist der nachhaltige kulturelle Versuch, die europäische Integration mit neuen sprachlichen Melodien zu entfalten, durchs Lesen und Übersetzen sich kennenzulernen und mit Kultur und Literatur die europäische Vielfalt zu meistern. Denn: Als wir vor zwanzig Jahren begonnen haben, Literatur aus dem europäischen Osten zu verlegen, als wir begonnen haben, den vielen Literaturen dieses Raumes ein Gesicht zu geben, als wir die slowenische, kroatische, serbische, albanische, bulgarische, rumänische, ungarische, tschechische, slowakische und polnische Literatur herauszugeben begannen, war die Sowjetunion noch nicht Vergangenheit, Jugoslawien noch nicht von einem Krieg zerstückelt und die Europäische Union in der heutigen Form unerreichbar. Da haben wir das Hoffen gelernt und die Ahnung einer vielstimmigen Welt im Sinn gehabt, von der uns die Autorinnen und Autoren in ihren Büchern, ihren Versen, ihren Erzählungen und ihren Träumen berichteten und die uns deren Übersetzerinnen und Übersetzer ins Deutsche herüberbrachten.

In diesen 23 Jahren haben wir 900 Bücher verlegt. Wir haben die Reihe Europa erlesen begründet, in der wir alleine knapp 8000 Texte von 3000 Autorinnen und Autoren abgedruckt haben – wovon ein Drittel von Übersetzerinnen und Übersetzern aus über 50 Sprachen ins Deutsche übertragen wurden.

Mittlerweile haben die Reihe Europa erlesen und die Wieser Enzyklopädie des europäischen Ostens Kultstatus erreicht, die Autorinnen und Autoren sind flügge geworden und wir ziehen weiter unsern Weg. Den nächsten zwanzig Jahren entgegen. Trotz alledem. Oder: Gerade deswegen!